Milliarden Dollar fließen aus Afrika in die reichen Länder!
Das rohstoffreiche Nigeria verlor durch illegale Geldtransfers in den letzten dreissig Jahren mindestens 250 Milliarden Dollar (Ölpipelines in Südnigeria). (Bild: AP/George Osodi)
Laut einer Studie hat Afrika durch illegale Geldabflüsse innert dreissig Jahren über eine Billion Dollar verloren. Rohstoffreiche Länder sind in besonderem Masse betroffen.
Fabian Urech
Die Staaten Afrikas haben in den letzten dreissig Jahren durch illegale Geldabflüsse in andere Kontinente nach konservativen Schätzungen mindestens 1200 Milliarden Dollar verloren. Dies zeigt eine kürzlich erschienene Studie der Afrikanischen Entwicklungsbank und des Forschungsinstituts Global Financial Integrity. Der Betrag entspricht einem Mehrfachen der in dieser Zeit nach Afrika geflossenen Entwicklungsgelder und Direktinvestitionen. Selbst bei Berücksichtigung der offiziellen Kapitaltransfers ist Afrika damit ein Nettogeldgeber der Welt. Die Resultate der Studie stimmen mit den Annahmen der Uno überein, nach denen Afrika durch illegale Geldabflüsse – also etwa durch Preismanipulation bei Handelsgeschäften, Steuerhinterziehung oder Korruption – jährlich bis zu 50 Milliarden Dollar verliert.
Negativbeispiel Nigeria
Laut der Studie sind die verlorenen Milliarden auch ein Grund, weshalb sich die sozioökonomischen Lebensbedingungen für viele Afrikaner in den vergangenen Jahren kaum verbesserten. Allerdings sind die über fünfzig Staaten des Kontinents in sehr unterschiedlichem Masse vom Phänomen betroffen. Die deutlichsten Abflüsse registrierten mit Algerien, Libyen, Nigeria, Botswana und Ägypten wenig überraschend fünf Staaten mit erheblichen Rohstoffvorkommen. Alleine Nigeria verlor durch illegale Geldtransfers in den letzten dreissig Jahren mindestens 250 Milliarden Dollar – viel Geld für ein Land, in dem noch immer 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.
Auf die Gründe für die Geldabflüsse geht die Studie – auch aufgrund der dünnen Datenlage – kaum ein. Zur Eindämmung des Problems empfehlen die Autoren unter anderem die Implementierung verstärkter Transparenzvorschriften im Rohstoffhandel und bei der Vergabe von Betriebslizenzen sowie einen verbesserten internationalen Austausch von Steuerdaten. Illegale Geldabflüsse sind allerdings kein rein afrikanisches Übel. Laut Global Financial Integrity verloren Entwicklungsländer im Jahr 2010 in dieser Weise weltweit über 850 Milliarden Dollar. In über 60 Prozent der Fälle waren asiatische Länder betroffen.
Die Schweiz als Drehscheibe
Nebst Entwicklungsländern sind aber auch Industriestaaten in erheblichem Masse von Steuerflucht oder Preismanipulationen betroffen. Gleichzeitig gehören laut der Studie einige westliche Staaten zu den Profiteuren solcher Geldtransfers. Zwar lägen zu den Finanzbewegungen keine genauen Daten vor, doch Steueroasen – explizit wird hier auch die Schweiz genannt – gehörten zu den präferierten Destinationen von Schwarzgeldern, halten die Autoren fest. Laut dem Finanzexperten Mark Herkenrathvon Alliance Sud ist die Schweiz aufgrund des Bankgeheimnisses, Mängeln bei der Bekämpfung der Geldwäscherei und fehlender Transparenzvorschriften eine wichtige Destination und Drehscheibe für solche Gelder. Gerade im «enorm intransparenten Rohstoffsektor» der Schweiz besteht nach Herkenrath dringender Handlungsbedarf. Während die EU und die USA bereits entsprechende Transparenzrichtlinien eingeführt hätten, seien die diesbezüglichen Bemühungen der Schweiz sehr zaghaft. Verbesserung verspricht allenfalls ein vom Nationalrat am Dienstag verabschiedetes Postulat, das vom Bundesrat die Prüfung von Transparenzvorschriften für den gesamten Rohstoffsektor fordert.
http://www.nzz.ch/aktuell/international/milliarden-aus-afrika-1.18099274
Schwarzgeldabflüsse in Milliardenhöhe
«Ein zentrales Entwicklungsproblem Afrikas»
International Heute, 17:05
Für den Finanzexperten Mark Herkenrath liegen die Hauptursachen der Schwarzgeldabflüsse nicht in Afrika. Grosse Teile der illegalen Gelder gingen auf illegale firmeninterne Steueroptimierungstransaktionen zurück. Hier spiele auch die Schweiz als wichtiges Empfängerland eine zentrale Rolle, meint Herkenrath im Gespräch mit der NZZ.
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Interview: Fabian Urech
Über die Form und Destination illegaler Geldabflüsse ist in der Studie der Afrikanischen Entwicklungsbank und Global Financial Integrity wenig zu erfahren. Herr Herkenrath, worum handelt es sich bei den transferierten Schwarzgeldern genau?
Andere Studien schlüsseln das detaillierter auf. 80 Prozent der illegalen Geldabflüsse aus Entwicklungsländern geschehen über Fehlangaben beim internationalen Handel, der zu rund zwei Dritteln aus firmeninternen Transaktionen besteht. In anderen Worten: Der Löwenanteil der Milliardenverluste geht auf die Bemühungen von multinationalen Konzernen zurück, ihre Gewinne dorthin zu verschieben, wo sie möglichst tief besteuert werden – beispielsweise in die Schweiz. Ein kleinerer Teil der Schwarzgeldflüsse betrifft illegale Transaktionen von Privatpersonen, sehr gering ist der Anteil von Potentatengeldern.
Mark Herkenrath(zvg)
Inwieweit sind die Geldabflüsse aus Afrika selbstverschuldet?
Staatliche Institutionen wie die Steuer- oder Zollbehörden sind in vielen afrikanischen Ländern äusserst schwach. Es fehlen Geld, Personal und Kompetenzen, um problematische Finanzflüsse aufzudecken und nachzuverfolgen. Zugleich ist die Korruption in vielen Staaten Afrikas weiterhin sehr verbreitet. Da schafft die Entwicklungszusammenarbeit Abhilfe. Probleme bei der Eindämmung illegaler Geldflüsse bestehen aber auch in Industrieländern: Selbst gut ausgerüstete Behörden haben mit solchen Problemen – etwa mit Steuerflucht – zu kämpfen. Und gerade die Problematik der firmeninternen Finanztransaktionen multinationaler Konzerne betrifft letztlich alle Länder.
Kofi Annan bezeichnete die illegalen Geldabflüsse jüngst als zentrales Entwicklungshindernis für Afrika. Wie beurteilen Sie die Folgen dieses Phänomens?
Ich kann Annan nur zustimmen. Schwarzgeldabflüsse gehören zu den grössten Entwicklungsproblemen afrikanischer und anderer Entwicklungsländer. Diese Länder brauchen dringend mehr finanzielle Mittel, um weitere Entwicklungsfortschritte zu machen. Die Gelder der Entwicklungszusammenarbeit tragen zwar ihren Teil dazu bei, doch die vorliegende Studie zeigt auch, dass die afrikanischen Länder durch illegale Kapitalabflüsse ungleich mehr Geld verlieren, als sie durch Hilfszahlungen und Direktinvestitionen einnehmen. Es handelt sich um enorme Geldsummen, die ansonsten der Bekämpfung der Armut oder der Folgen des Klimawandels dienen könnten.
Die Studie beschreibt Steueroasen als bevorzugte Destination von Schwarzgeldern. Welche Rolle spielt hier die Schweiz?
Die Schweiz spielt eine wichtige Rolle. Sie bietet sich noch immer als Empfängerin unversteuerter und illegaler Gelder an. Keines der rund vierzig neuen Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz betrifft ein armes Entwicklungsland. Personen aus solchen Ländern können ihr undeklariertes Vermögen weiterhin sorglos auf einer Schweizer Bank anlegen. Zudem bleiben die im Ausland erwirtschafteten Gewinne von multinationalen Unternehmen in gewissen Schweizer Kantonen praktisch unbesteuert. Dies hält mittlerweile auch die EU für ein grosses Problem. Die Schweiz ist zwar nicht das einzige Land, das solche Praktiken ermöglicht. Doch sie wird diesbezüglich auch vonseiten der OECD zunehmend unter Druck geraten.
Welche Bemühungen zur internationalen Regulierung dieser Geldflüsse sind zurzeit im Gang?
In den USA und in der EU sind bereits Regulierungen in Kraft, die auf eine Erhöhung der Transparenz des Rohstoffsektors zielen. Das ist gerade für die rohstoffreichen afrikanischen Länder ein grosser Fortschritt. Trotzdem sind weitere Schritte nötig, denn andere Wirtschaftssektoren sind von ähnlichen Problemen betroffen. Inzwischen hat auch die OECD ein Projekt lanciert, um Steuerkürzungen und die Gewinnverschiebung von Konzernen anzupacken. Dies zeigt, dass das Interesse der Industrieländer an diesem Thema immer grösser wird. Und es besteht durchaus die Chance, dass auf OECD-Ebene Regelungen entwickelt werden, von denen auch Entwicklungsländer profitieren. In der Schweiz ist der Rohstoffsektor hingegen weiterhin enorm intransparent.
In einem Postulat forderte der Nationalrat vom Bundesrat diese Woche die Prüfung von Transparenzvorschriften für die gesamte Rohstoffbranche der Schweiz. Welche Bedeutung ist dem beizumessen?
Das ist ein sehr wichtiger Schritt. Der Bundesrat wollte bisher nur die mögliche Übernahme von Transparenzvorschriften aus den USA und der EU diskutieren. Diese betreffen aber nur Unternehmen, die selbst Rohstoffe abbauen. Das Hauptproblem in der Schweiz ist die Intransparenz der vielen Firmen, die vor allem Handel mit Rohstoffen betreiben. Es gilt dringend zu vermeiden, dass der Rohstoffhandel über die Schweiz Verstösse gegen die Menschenrechte verschleiert und letztlich die Taschen korrupter Diktatorenclans oder Kriegsparteien füllt. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich nun auch der Nationalrat für dieses wichtige Anliegen einsetzt.
Zur Person
Mark Herkenrath ist Finanzexperte der Hilfswerkvereinigung Alliance Sud. Er ist Mitglied im Steuerungsausschuss der globalen Allianz für Steuergerechtigkeit (Global Alliance for Tax Justice) und in der beratenden Kommission des Bundesrates für internationale Entwicklung und Zusammenarbeit. Zudem unterrichtet er als Privatdozent für Soziologie an der Universität Zürich.
Afrikanische Entwicklungsbank schätzt Schwarzgeldabflüsse auf über eine Billion
Über die letzten dreissig Jahre sind aus den afrikanischen Entwicklungsländern unversteuerte Gelder im Umfang von mindestens 1’200 Milliarden Dollar abgeflossen. Das zeigt eine neue Studie der Afrikanischen Entwicklungsbank und des Forschungsinstituts Global Financial Integrity. Alliance Sud fordert den Schweizer Bundesrat auf, dringend Gegenmassnahmen gegen den Zufluss solcher Gelder in die Schweiz zu ergreifen.
Nicht nur reiche Länder wie die USA und die EU-Staaten leiden unter dem Abfluss unversteuerter Gelder ins Ausland. Betroffen sind auch die afrikanischen Entwicklungsländer. Sie bräuchten die verlorenen Staatseinnahmen ganz besonders dringend, um die Armut und die Folgen des Klimawandels bekämpfen zu können.
Eine heute an der Jahrestagung der Afrikanischen Entwicklungsbank in Marrakesch veröffentlichte Studie zeigt, um welche schwindelerregenden Beträge es geht. Die Untersuchung stammt von der Afrikanischen Entwicklungsbank, die auch von der Schweiz mitfinanziert wird, und dem renommierten Forschungsinstitut Global Financial Integrity (GFI). Sie zeigt, dass die Schwarzgeldabflüsse («illicit financial flows») aus Afrika von 1980 bis 2009 zwischen 1,2 bis 1,3 Billionen Dollar betragen haben.
Dabei sind die Zahlen der Studie eher konservativ geschätzt. Sie beruhen auf der Analyse von Fehlbeträgen in offiziellen Handelsstatistiken und Zahlungsbilanzen. Nicht erfasst werden zum Beispiel konzerninterne Transaktionen, mit denen multinationale Konzerne auf legalem Weg Gewinne in Tiefsteueroasen wie die Schweiz verschieben. Gemeint sind ausschliesslich internationale Transaktionen, die illegalen Formen der Steuerhinterziehung von Privatpersonen und Unternehmen sowie der Geldwäscherei bei Korruption und anderen kriminellen Aktivitäten dienen. Trotzdem übersteigen die geschätzten Schwarzgeldflüsse die Summe aller Hilfsgelder, Direktinvestitionen und weiterer Finanzzuflüsse, von denen der afrikanische Kontinent im untersuchten Zeitraum profitieren konnte. Netto sind von 1980 bis 2009 Gelder im Umfang von mindestens 597 Milliarden Dollar aus den Ländern Afrikas abgeflossen.
Der Bericht fordert klare Gegenmassnahmen in all den Ländern, die vom Schwarzgeld aus Afrika profitieren. Er verlangt unter anderem, dass die natürlichen Personen, die sich hinter Unternehmen, Trusts und Stiftungen verbergen, in öffentlich zugänglichen Handelsregistereinträgen erfasst werden. Zudem sollen multinationale Konzerne in ihren Sitzländern zu einer transparenten Rechnungslegung verpflichtet werden. Sie sollen für den gesamten Konzern nach Ländern und Projekten aufgeschlüsselt sämtliche Umsatzzahlen, Gewinne, Steuerzahlungen und Angaben zur Zahl der Beschäftigten offen legen.
Alliance Sud, die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke, fordert den Schweizer Bundesrat auf, sich die Empfehlungen dringend zu Herzen zu nehmen. «Leider ist die Schweiz noch weit davon entfernt, Schwarzgeldflüssen aus Entwicklungsländern einen Riegel vorzuschieben», erklärt Mark Herkenrath, Finanzexperte bei Alliance Sud. Bei den Banken brauche es nicht nur eine wesentliche Erweiterung der Sorgfaltspflichten, wenn sie ausländische Gelder annehmen, sondern auch deutlich strengere Kontrollen und Sanktionen. Solche Massnahmen fehlen aber in der geplanten Revision des Geldwäschereigesetzes, so Mark Herkenrath von Alliance Sud. Ausserdem sieht die geplante Revision keine öffentlichen Handelsregistereinträge vor, die Auskunft über die wahren Besitzer von Handelsunternehmen und anderen Firmen geben. Damit bleibt sie weit hinter den jüngsten Empfehlungen der Afrikanischen Entwicklungsbank zurück.
Für weitere Auskünfte:
Mark Herkenrath, Alliance Sud, Tel. 078 699 58 66
Studie: Illicit Financial Flows and the Problem of Net Resource Transfers from Africa: 1980-2009