Bürgerkrieg im Bürgerkrieg
Machtkämpfe im «befreiten» Syrien
Auslandnachrichten Heute, 18:53
Ein syrischer Rebellenkommandant ist von islamistischen Konkurrenten getötet worden. Unter den zerstrittenen Asad-Gegnern zeichnet sich ein Showdown ab.
Syrische Jihadisten haben ein Mitglied des obersten Militärrats der Freien Syrischen Armee (FSA), einer Dachorganisation von Rebellenverbänden, getötet, wie Sprecher der FSA am Freitag mitteilten. Dem Sender al-Jazira erklärte ein Sprecher, der FSA-Kommandant Kamal Hamami sei zusammen mit seinem Bruder bei einer Inspektionstour im Norden der Stadt Latakia von Kämpfern des Islamischen Staats im Irak und im Scham (Grosssyrien), kurz Isis, umgebracht worden. Es handelt sich um den letzten Zwischenfall in einer langen Reihe, die auf eine Eskalation der Spannungen im Lager der Anti-Asad-Rebellen hindeutet.
Jihadisten im Aufwind
Amerikaner und Saudi wollen den Militärrat der FSA zur zentralen Kommandostelle der vielen Anti-Asad- Gruppen aufbauen, über die sie ihre Waffenhilfe verteilen. Der Isis dagegen ist ein Ableger der Kaida-Filiale im Irak, der in den letzten Wochen die ursprüngliche Kaida-Gründung in Syrien namens Jabhat an-Nusra weitgehend übernommen zu haben scheint. Der Mord am FSA-Kommandanten deutet darauf hin, dass sich zwischen Jihadisten und den vom Westen unterstützten Aufständischen eine Schlacht um die Kontrolle der nördlichen Hälfte Syriens anbahnt, ein Bürgerkrieg innerhalb des Bürgerkriegs sozusagen.
Schon letzte Woche war es in einem Dorf westlich von Aleppo zu Gefechten zwischen Rebelleneinheiten gekommen, bei denen angeblich Dutzende von Kämpfern getötet oder verletzt wurden. Der Grund für die Auseinandersetzungen ist unklar. Während die einen behaupteten, es habe sich um einen Kampf um politischen Einfluss und wirtschaftliche Vorteile gehandelt, sagen andere, Proteste der Einwohner gegen die Durchsetzung strenger Verhaltensregeln durch Islamisten hätten den Konflikt ausgelöst. Es gibt jedenfalls zahlreiche Berichte aus anderen Orten, die belegen, dass die Bevölkerung gegen Willkür und Machthunger der Kämpfergruppen aufbegehrt.
So protestierten in Aleppo diese Woche Hunderte gegen die Blockade, welche die Rebellen gegen die von der Regierung kontrollierten Stadtteile verhängt hatten. In die betroffenen Viertel gelangten keine Lebensmittel und Medikamente, und Aktivisten wiesen warnend darauf hin, dass dort schnell der Hunger einziehen könnte. Aufständische Kämpfer gingen am Dienstag mit Schusswaffen gegen die Demonstranten vor und sollen einen von diesen getötet haben. Dass Kämpfer, die sich als Verteidiger des Islams aufspielen, zu Beginn des Fastenmonats Ramadan ganze Stadtviertel aushungern, hat sie kaum beliebter gemacht.
Die Sympathien für den Aufstand gegen Asad sind in Aleppo nie gross gewesen, und sie haben mit den Plünderungen von Silos, Lagerhäusern und Fabriken durch die Rebellen weiter abgenommen. Drakonische Gesetze und Strafen, welche islamistische Eiferer im Gefolge der Aufständischen durchzusetzen trachten, haben deren Ansehen bei vielen zusätzlich geschadet.
Kampf um Ressourcen
Vor einem Monat haben drei Männer in der typischen Salafistentracht einen 14-jährigen Kaffeeverkäufer entführt, misshandelt und dann auf offener Strasse mit einem Schuss in den Kopf umgebracht. Die drei hatten gehört, wie der Bursche die Bitte eines Kunden um einen Gratiskaffee mit der Formel ausschlug: «Nicht einmal, wenn der Prophet selber wiederkommt!» Die selbsternannten Richter erklärten den Zuschauern, auf Blasphemie stehe der Tod, und verschwanden spurlos. Das von den Rebellen eingesetzte Scharia-Gericht in Aleppo verurteilte die Tat aufs Schärfste, dürfte die Empörung der Einwohner aber kaum beschwichtigt haben.
In den letzten Monaten sind viele Videoaufnahmen von Demonstrationen gegen den Isis im Internet aufgetaucht. Die Organisation dominiert weite Gebiete im Nordosten Syriens. Laut einem Gewährsmann der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der selber ihr Gefangener war, hält sie allein in Rakka 1500 Gefangene fest, unter ihnen Dutzende von Frauen. Videos aus Rakka zeigen Frauen, die vor dem Hauptquartier der Organisation für die Freilassung von Söhnen und Brüdern demonstrieren.
Der Hauptgrund für die Spannungen im Nordosten ist jedoch der Kampf um Ressourcen, namentlich um die dortigen Erdölfelder. Der Isis ist dabei, staatliche Strukturen aufzubauen, und beansprucht die Kontrolle über die Erdölfelder und die staatliche Infrastruktur. Wie Isis-Führer erklären, wollen sie eine gerechte Versorgung der Bevölkerung mit Energie sicherstellen, was ihnen bisher bedeutend besser gelungen ist als anderen Rebellengruppen.
Die Jihadisten, unter denen sich viele aus anderen Ländern zugewanderte Kämpfer befinden, geraten dabei allerdings in Konflikt mit den einheimischen Stämmen, die ebenfalls Anspruch auf die Ressourcen ihres Gebiets erheben und über die Einmischung der fremden Kämpfer empört sind. Tödliche Zusammenstösse wechseln sich mit Arrangements über die Aufteilung des Öls, des Wassers und der Elektrizität ab. Auch die Kurden, die entlang der Nordgrenze wohnen, nehmen am Gerangel um die Ressourcen teil. Obwohl sie weniger als zehn Prozent der syrischen Bevölkerung ausmachen, leisten auch sie sich interne Grabenkämpfe. In Amuda bei Kamishli töteten Ende Juni Milizionäre der Demokratischen Einheitspartei (PYD), eines Ablegers der türkisch-kurdischen PKK, mehrere Demonstranten, die gegen die Festnahme von drei Aktivisten protestierten. Die PYD sucht eine geeinte syrisch-kurdische Streitmacht und staatliche Strukturen in den kurdischen Gebieten aufzubauen, stösst dabei aber auf bitteren Widerstand anderer Gruppen, die sich teilweise mit arabischen Rebellengruppen verbündet haben.
Verlorene Illusionen
Viele der Aktivisten, die mit ihren Rufen nach Demokratie und Menschenrechten den Aufstand gegen das Asad-Regime ausgelöst hatten, sind über diese Entwicklung enttäuscht und verbittert. Einer von ihnen, der unter dem Pseudonym Edward Dark firmiert, schrieb in einem kürzlich veröffentlichten Artikel auf der Website Al-Monitor, «die zivilen Aktivisten wollten die Gesellschaft verändern, während die bewaffneten Gruppen nur die Tyrannen auswechseln wollten, die diese regieren». Die Milizionäre suchten mit der Waffe Einfluss und Macht zu gewinnen und nicht das Los des Volkes zu verbessern, klagt der desillusionierte Dark.